Die Candidate Experience steht für den Gesamteindruck, den ein potenzieller Bewerber im Rahmen des Rekrutierungsprozesses von einem Arbeitgeber hat. Es handelt sich um das individuelle Erleben des Kandidaten, welches sich aus einer Vielzahl von direkten und indirekten Touchpoints zusammensetzt.
Das Vertrauen spielt eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, Künstliche Intelligenz in die Candidate Experience zu integrieren. Denn ähnlich wie in zwischenmenschlichen Beziehungen bildet Vertrauen die Grundlage für die Verbindung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Im ersten Teil der Candidate Experience zählen vor allem die Touchpoints, die auf eine klare Kommunikation des Arbeitgebers und technisch-organisatorische Aspekte zurückzuführen sind, wie z.B. die Benutzerfreundlichkeit der Systeme oder die Eingangsbestätigung der Bewerbung. In der späteren Kennenlernphase steht das Agieren der Unternehmensvertreter im Vordergrund, wo das Vertrauen des Bewerbers durch ihr Auftreten sowie ihre Kommunikation geprägt wird.
Es gibt eine Vielzahl an KI-Tools, die sich je nach Zielgruppe unterscheiden. In diesem Blogbeitrag werden nur jene enger beleuchtet, welche Unternehmen implementieren können. In der Prägungs-/Bewerbungsphase können Unternehmen ihre offenen Stellen auf Portalen wie LinkedIn oder Indeed platzieren, wo diese mithilfe von Algorithmen potenziellen Bewerbern vorgeschlagen werden. Des Weiteren könnten in dieser Phase Stellenanzeigen mithilfe von "Text Analytics" verbessert werden, Chatbots zur verbesserten Informationsvermittlung oder KI-basierten Bewerbungsassistenten angewendet werden. In der Auswahlphase können Unternehmen Matching Tools implementieren, welche geeignete Bewerber für die Stelle herausfiltern. Hier reicht die Komplexität von simplen Tools wie der Schlüsselwortsuche über psychologischen Persönlichkeitstest bis zu KIs, welche die Sprache, Stimme und Mimik analysieren.
Die Vertrauensbildung vom Kandidaten zum Unternehmen verändert sich wie in der Grafik sichtbar zwischen Bewerbungs- und Auswahlphase. Zuerst wird es technisch/organisatorische Faktoren beeinflusst und später durch die persönliche Interaktion zwischen Unternehmensvertreter und Bewerber. Basierend auf diesen Erkenntnissen kann angenommen werden, dass KI in Bezug auf die persönliche Interaktion zwischen Unternehmensvertretern und Bewerbern keinen Mehrwert bietet. Daher ist es verständlich, dass der Beruf des Recruiters weiterhin existiert und Auswahlgespräche noch nicht vollständig von KI übernommen wurden. Dieser Aspekt sollte bei zukünftigen Entwicklungen und Implementierungen nicht vergessen werden.
Wo könnte KI sinnvoll und wertstiftend implementiert werden?
Lösung: Eine Möglichkeit bieten sogenannte Matching Algorithmen. Dies sind Tests, welche auf der Karriereseite von Unternehmen implementiert werden können um die Identifikation mit dem Unternehmen und das Erkennen des PO-Fits bzw. „Cultural- Fit“ greifbarerer zu machen. Vor der Implementierung analysieren Unternehmen die eigene Kultur und können teilweise zusätzlich ein "Sollprofil" erstellen, um beide Teile des PO-fits abzudecken. Einmal implementiert können Jobinteressierte diesen Test durchführen und erhalten am Ende eine Auswertung dieser Skalen inwiefern sich ihre Werte mit denen der Firma decken.
Vertrauen: Wenn ein hoher Cultural-Fit besteht, steigt die Motivation für eine Bewerbung in der Regel. Sollten jedoch Unstimmigkeiten in einigen Bereichen auftreten, können diese im weiteren Verlauf des Bewerbungsgesprächs angesprochen werden, um bereits zu Beginn mögliche Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Aus diesen Gründen kann angenommen werden, dass ein Tool zur Feststellung eines hohen Cultural-Fits zu einer Verbesserung der Candidate Experience beitragen könnte und somit auch zum Vertrauensaufbau beitragen würde.
Lösung: Künstliche Intelligenz könnte entgegenwirken, indem dem Recruiter Verbesserungsvorschläge zu bestehenden Texten gemacht werden, wie auch komplett neue generiert werden könnten. Durch den Einsatz der KI kann sichergestellt werden, dass sich die Anzahl der Bewerbungen erhöhen wird. Des Weiteren werden verstärkt passende Bewerber motiviert, da diese ihre Fähigkeiten konkreter mit der Ausschreibung abgleichen können.
Einfluss des Vertrauens: Durch den Einsatz von KI würde an dieser Stelle ein Vertrauenszuwachs entstehen, da die Aussagen des Arbeitgebers klarer werden und somit unter anderem Zeit für Nachfragen gespart werden kann.
Lösung: Durch die Implementierung eines Chatbots auf der Karriereseite können Bewerber lange Wartezeiten vermeiden und mithilfe von KI Antworten in Echtzeit erhalten. Zusätzlich können die Bots den Bewerbungsprozess optimieren, indem sie Terminvereinbarungen vereinfachen und somit Zeit sparen und den Recruiter entlasten.
Einfluss des Vertrauens: Solange die Chatbots zur Eigenbeantwortung des Bewerbers genutzt werden, schafft der Bot durch die Klarheit/Zeitersparnisse ein Vertrauenswachstum. Sobald jedoch eine echte Interaktion mit einem Menschen erwartet wird (wie bspw. bei einem Bewerbungsgespräch), werden technische/prozessuale Aspekte weniger relevant und von einem Nutzen sollte abgesehen werden. Des Weiteren gilt zu beachten, dass ein Chatbot die zwischenmenschliche Kommunikation nicht vollkommen ersetzten kann, da es ihm oft an Humor und Empathie fehlt.
Lösung: KI kann viele manuelle, administrative Aufgaben übernehmen, wie das Ausfüllen von Formularen, die Prüfung von Dokumenten oder die Verwaltung von Zugriffen. Darüber hinaus kann KI personalisierte Onboardingerfahrungen gewähren, indem neuen Mitarbeitenden personalisierte Schulungspläne oder E-Learning Tools bereit gestellt werden.Darüber hinaus besteht auch hier erneut die Möglichkeit, Chatbots zur Beantwortung von Fragen einzusetzen.
Einfluss des Vertrauens: Im Onboarding-Prozess erwarten Bewerber, dass ihre Erwartungen aus der bisherigen Candidate Journey erfüllt werden. Künstliche Intelligenz kann dabei helfen, solange sie nicht wichtige menschlichen Interaktionen ersetzt. Wenn jedoch administrative Aufgaben von KI übernommen werden, können Personalverantwortliche entlastet und die Fehleranfälligkeit minimiert werden. Dadurch können Bewerbern Ärgernisse wie verzögerte Kommunikation oder fehlende Zugänge erspart bleiben.
Chancen von KI Anwendungen im Recruiting:
Bessere Ressourcennutzung: Durch den Einsatz von KI können Ressourcen effizienter genutzt werden, da repetitive Aufgaben automatisiert werden und sich Mitarbeitende auf komplexere Aufgaben konzentrieren können.
Globale Talentsuche: KI ermöglicht eine weitreichende Suche nach Talenten über geografische Grenzen hinweg, indem sie potenzielle Kandidaten auf globalen Plattformen identifiziert.
Risiken von KI Anwendungen im Recruiting:
Die Anwendung von Künstlicher Intelligenz bietet viele Chancen für einen Einsatz im Recruiting, jedoch dürfen dabei die genannten Aspekte nicht außer Acht gelassen werden - in diesem Sinne: Let's automate the right parts of your Candidate Journey!
Quellen: Adler, L. J., & Fares, Y. (2020), Athanas & Wald (2014), Born & Taris (2010), Cable, D. M., & Judge, T. A. (1996), Esch et al. (2015), Kristof, A. L. (1996), O’Reilly, C. A., Chatman, J., & Caldwell, D. F. (1991), Powell (1991) Rynes, Bretz & Gerhart (1991), softgarden (2018), Upadhyay & Khandelwal, (2018), Verhoeven (2016)
Autorin: Jule Witt